Essen auf Rädern
Bei „Essen auf Rädern“ handelt es sich um die ursprüngliche Bezeichnung des Innsbrucker Menü Service der Innsbrucker Sozialen Dienste. Dieser stellt Mahlzeiten an Privatersonen, die meistens aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nicht mehr selbst kochen können, zu, führt aber auch die Essensverteilung an die Altenwohnheime der Stadt Innsbruck durch. Die Durchführung der Dienstleistung erfolgt durch das Rote Kreuz Innsbruck.
Der Beginn
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Die sog. „Aktion Essen auf Rädern“ beruht auf einem Beschluss des Stadtsenates vom 31.05.1971, einen Essenszustelldienst für alte, alleinstehende Personen einzurichten. Wie es zu diesem Beschluss kam und wie sich die organisatorische Entwicklung bis zur Inbetriebnahme des Dienstes einen Monat später gestaltete, ließ sich vorderhand nicht rekonstruieren. Am 01.07.1971 wurde der Betrieb von „Essen auf Rädern“ von Bürgermeister DDR. Alois Lugger und GR Josef Hardinger jedenfalls feierlich eröffnet, der Höttinger Pfarrer segnte die Fahrzeuge.
Die Mahlzeiten wurden zunächst in der renovierten Küche des 1927 ursprünglich als „Armenhaus“ errichteten, 1976/77 abgerissenen, ehemaligen Altenheimes in Hötting in der Schulgasse 3 zubereitet. Nachdem am 08.08.1973 das Wohnheim Hötting eröffnet worden war, übersiedelte auch die Essenszubereitung in den Neubau. Zu Beginn wurden Mahlzeiten für 54 Personen (nach anderen Quellen 30) zubereitet, bis Ende 1971 war die Anzahl der Teilnehmer bereits auf 163 angewachsen. Insgesamt wurden im ersten Jahr des Bestehens 235 Klienten beliefert. Fünf Jahre nach der Gründung von „Essen auf Rädern“ nahmen bereits 598 Teilnehmer den Dienst in Anspruch, 1981 waren es 610.
Gefahren wurde mit zwei Bussen des Typs Volkswagen T1 („Bulli“), die aus dem städtischen Fuhrpark stammten, weil sie so wie deren Fahrer von der Stadt gestellt wurden. Schon im Dezember 1971 kam ein weiterer, ebenfalls im Dezember des Jahres 1973 ein vierter Bus dazu. Ein Wagenstand, der sich bis 1980 nicht ändern wird.
Die Posten der „Verteiler“ besetzte die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck. Bei den Verteilern handelte sich um durchwegs ältere Damen und Herren, die offiziell der damaligen Abteilung IV (GSD) zugeordnet waren. Die erste Mannschaft bestand aus sechs Frauen und einem Mann (nach andern Quellen aus zehn Helfern). Von der zuständigen Magistratsabteilung V erhielten die freiwilligen Helfer eine Vergütung von öS 20,–– pro Dienst, welche später immer wieder erhöht wurde.
Die Zustellung der Mahlzeiten über die Mittagsstunden musste in den ersten zwanzig Jahren sehr schnell erfolgen, da die Portionen heiß ausgeliefert wurden. Schon 1977 wurde festgestellt, dass jene Personen, die jeweils zuletzt beliefert wurden, das Essen nur mehr kalt bekämen. Gleichzeitig sollten die Zusteller auf Bitte der Österreichischen Frauenbewegung Innsbruck-Stadt, die in Innsbruck einen Altenhilfsdienst eingerichtet hatte, auf betreuungsbedürftige Personen achten und diese melden. Essen auf Rädern stand zunächst nur von Montag bis Freitag zur Verfügung, ab Dezember 1976 auch an Samstagen. Die Gerichte für die Samstagsauslieferung wurden im Wohnheim Pradl gekocht. Erst ab November 1994 wird Essen auf Rädern auch an Sonn- und Feiertagen abgeboten werden.
Die Leitung des Dienstbetriebs, insbesondere die Diensteinteilung von Seiten der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck lag bei Hugo Pucher, ab April 1973 bei Katharina Winterle. Die Führungskräfte wurden vom Obmann der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck, Ing. Karl Pobitzer, selbst bestimmt. Von Seiten der Stadt lag die operative Leitung von Essen auf Rädern bei Mag. Josef Schlick.
Übernahme der Zustellung durch die Freiwillige Rettung Innsbruck, 1980
Im Juni 1977 wurde der Freiwilligen Rettung Innsbruck von der Stadt erstmals angeboten, die Organisation der Zustellung (Fahrer, Fahrzeug, Helfer) vollständig an dien Rettung zu übergeben. Vertreter der Stadt hatten ein ähnlich aufgebautes System in Linz gesehen, wo zwar die Wägen von der Stadt gestellt wurden, die Organisation aber das Rote Kreuz innehatte. Von der Stadt Innsbruck wurde der Vorteil einer solchen Strukturänderung darin gesehen, dass sie keine Fahrer mehr bezahlen müsste, von der Freiwilligen Rettung Innsbruck in der Lukrierung von Personalreserven für den Regelfahrdienst und zusätzlichen Fahrzeugen, die auch zur Bewältigung von Großschadenslagen herangezogen werden könnten.
Im Jänner 1980 bot Obmann Ing. Karl Pobitzer der Stadt Innsbruck seinerseits die vollständige Zustellung der Mahlzeiten sowie die Übernahme der Fahrzeuge um öS 734,40 brutto pro Tag an. Gerechnet wurde mit vier Fahrzeugen und Fahrern für die Wochentags- sowie zwei Fahrzeugen und Fahrern für die Samstagszustellungen bei einer Dienstzeit von täglich drei Stunden, der Auslieferung von 60–70 Portionen pro Fahrzeug und Tag und einer Tageskilometerleistung von rund 40 km für einen Wagen. In dem Schreiben wies er darauf hin, dass es sinnvoll wäre, wenn die Rettung Innsbruck Fahrzeuge und Fahrer stellte, nachdem diese ohnehin bereits die Helferinnen und Helfer für den Zustelldienst bereitstellen würde. Die Fahrzeuge könnten im Katastrophenfall außerdem bei Materialtransporten gute Dienste leisten.
Die Antwort der Stadt Innsbruck ist nicht erhalten. Allerdings genehmigte der Stadtsenat am 14.05.1980 den Wortlaut eines in einer gemeinsamen Besprechung am 17.04. ausgearbeiteten Entwurfes eines Werkvertrages mit der Freiwilligen Rettung Innsbruck, dessen Endversion wahrscheinlich Anfang Juni 1980 unterzeichnet wurde. Vertragsgegenstand war die Übernahme der Zustellung „der Essensportionen in Warmhaltebehältnissen durch Bereitstellung von 4 geschlossenen Zustellwägen samt einem Fahrer“ an 300 bis 330 Personen „im Rahmen der städt. Sozialaktion 'Essen auf Rädern'“. Dafür sollte die Rettung Innsbruck genau jene öS 734,40 nach dem Verbraucherpreisinex wertgesichert erhalten, die Obmann Pobitzer im Jänner angeboten hatte. Zusätzlich übernahm die Stadt Innsbruck nach wie vor die Aufwandsentschädigung für die freiwilligen Helfer, die mit der Magistratsabteilung V – Sozialamt vertragsunabhängig ausgehandelt seit 1979 öS 140,–– pro Dienst betrug. Außerdem konnten die Mitarbeiter im Wohnheim Hötting, wo sich die städtsiche Einsatzzentrale für den Dienst „Essen auf Rädern“ befand, günstig essen. Beginn der vertraglichen Leistungserbringung war der 01.06.1980.
Nachdem zunächst vermutlich mit den Lieferwägen der Stadt Innsbruck, die dieser wohl um öS 8.000,–– pro Stück abgekauft worden waren, weitergefahren wurde, machte das neue Betätigungsfeld der Freiwilligen Rettung Innsbruck den Ankauf von vier Zustellbussen um rund öS 484.000,–– notwendig. Es handelte sich um Volkswagen T3. Im Feber 1984 wurde ein fünfter Wagen in Dienst gestellt. Dieser wurde mit einem Zivildiener besetzt, der auch den Taxiführerschein besaß. Es darf angenommen werden, dass es sich dabei um den ersten Essen-auf-Rädern-Zivi in der Geschichte des Roten Kreuzes Innsbruck handelte. Im Jahre 2021 beschäftigt das Rote Kreuz Innsbruck im Tätigkeitsfeld Innsbrucker Menü Service zehn Zivildiener. „Essen auf Rädern“ war außerdem lange Zeit jener Tätigkeitsbereich, in dem neu angestellte Mitarbeiter des Roten Kreuzes Innsbruck vorerst eingesetzt wurden.
Die Ausschreibung von „Essen auf Rädern“, 2000/2001
Cook & Chill
Was schon 1977 in die Kritik geraten war, wurde seit Mitte der 1980er-Jahre auch in den Medien immer wieder thematisiert: Dass nämlich Klienten, an die „Essen auf Rädern“ jeweils zum Ende der Touren ausgeliefert wurde, die Mahlzeiten kalt oder lauwarm geliefert bekamen. Es dürfte dies einerseits auf frühes Ausschöpfen der vormittags gekochten Mahlzeiten aus arbeitstechnischen Gründen und aufgrund von Personalknappheit, andererseits aber darauf zurückzuführen gewesen sein, dass die innen beschichteten Aluminiumbehälter, die zum Einsatz kamen, die Wärme zu wenig speicherten. Das Innsbrucker Marktamt stellte 1996 fest, dass die Gerichte innerhalb von drei Stunden einen Temperaturverlust von 30–40 % erlitten und bestimmte Speisen bereits eine Stunde nach der Portionierung nur mehr 60 °C aufwiesen. Dies lief auch den Vorschriften zur Lebensmittelhygiene zuwider, die eine Serviertemperatur von mindestens 75 °C vorsahen. Das Marktamt kam daher zum Schluss, dass „die zur Zeit verwendeten Warmhaltebehälter vom Warmhaltevermögen her nicht zweckmäßig sind“. Eine politische Debatte über den Service Essen auf Rädern war die Folge. Sie drehte sich u. a. um die Frage der Kosten für die Anschaffung von Warmhaltebehältern. Es wurden aber auch skurril anmutende Vorschläge wie jener, dass die Zustellfahrzeuge Mikrowellenherde mitführen sollten, um die Mahlzeiten direkt beim Klienten aufzuwärmen, beigebracht.
Ergebnis der politischen Diskussion war die Ausschreibung von Warmhaltebehältern durch die Stadt Innsbruck im Jahre 1996/97. Diese wurde vom Landesvergabeamt wegen des Verdachts, der Text der Ausschreibung wäre an die Produktbeschreibung eines bestimmten Anbieters angepasst worden, allerdings gestoppt. Nach weiteren Diskussionen auf dem Weg zu einer Lösung für die Frage, wie die im Rahmen von Essen auf Rädern verteilten Mahlzeiten warm beim Kunden ankommen könnten, beschloss der Stadtsenat am 19.11.1997 das noch heute gebräuchliche Verfahren „Cook & Chill“. Es handelte sich um die qualitativ hochwertigste Variante. Bei „Cook & Chill“ wird das Essen vorgekocht, dann auf 2–4 °C abgekühlt, kalt zum Kunden geliefert und von diesem mittelst einer im Systemumfang enthaltenen Induktionskochplatte auf Esstemperatur erwärmt. Das Verfahren machte allerdings Umbaumaßnahmen in der Essen auf Rädern-Küche im Wohnheim Pradl, die im Vorfeld auf 2 Mio. Schilling veranschlagt wurden, notwendig. Als Anbieter entschied man sich für die Fa. Menü Mobil in Inzing.
Ausschreibung und Namensänderung in „Innsbrucker Menü Service“
Im Zuge der politischen Diskussionen rund um die Temperatur der Mahlzeiten von Essen auf Rädern geriet auch der Preis von öS 90,–– pro Menü in die Kritik. Die Freiwillige Rettung Innsbruck, hieß es, wäre österreichweit der teuerste Anbieter. 1997 wurde daher vom Sozialreferat der Stadt Innsbruck eine Überprüfung der Kosten durchgeführt, die zutage förderte, dass private Anbieter deutlich über den städtischen Preisen liegen würden. Trotzdem wurde Essen auf Rädern, nachdem der Dienst vermutlich gegen Ende des Jahres 2000 an den Anfang der 1980er-Jahre gegründeten und mit 01.01.2003 in die Innsbrucker Sozialen Dienste integrierten Innsbrucker Sozialfond überführt worden war, von Seiten der Stadt ausgeschrieben. Die Ausschreibung umfasste Kundenverwaltung und Essensauslieferung. Mit der Ausschreibung verbunden war die Umstellung auf das „Cook & Chill“-Verfahren sowie die Änderung des Namens „Essen auf Rädern“ in Innsbrucker Menü Service.
Auch die Freiwillige Rettung Innsbruck beteiligte sich an der Ausschreibung. Den Zuschlag erhielt allerdings der Österreichische Wachdienst (ÖWD) mit einem von der Geschäftsführung des Roten Kreuzes Innsbruck sofort als unrealistisch eingestuften Angebot von öS 19,–– pro zugestellter Mahlzeit. Gemeinnützige Organisationen hatten Angebote um rund öS 30,––, private Anbieter um rund öS 60–100,–– gelegt. Während der ÖWD also mit 01.07.2001 die Zustellung von Essen auf Rädern unter dem neuen Namen „Innsbrucker Menü Service“ mit dem im Wohnheim Pradl implementierten Cook-&-Chill-Verfahren übernahm, musste die Freiwillige Rettung Innsbruck vier der insgesamt fünf VW-Busse, mit denen Essen auf Rädern betrieben worden war, verkaufen. Der fünfte Bus wurde der Hundestaffel überlassen.
Im Oktober 2001 wendete sich freilich das Blatt: Der ÖWD musste sich, vermutlich weil er den Dienst aus finanziellen Gründen nicht mehr bewältigen konnte, mit dem Innsbrucker Sozialfond auf Einstellung der Leistungserbringung einigen. Das Rote Kreuz Innsbruck übernahm nach diesem Intermezzo von vier Monaten am 01.11.2001 wieder die komplette Essenszustellung mit dem Fuhrpark und den Mitarbeitern des ÖWD, die sie nach wie vor betreibt.
Ernst Pavelka, 29.06.–05.07.2021