Burghard Breitner
Burghard Breitner (16.6.1884 – 28.3.1956) und das Rote Kreuz
Der in Mattsee geborene Burghard Breitner wurde 1932 in der Nachfolge von Egon Ranzi Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie in Innsbruck. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich seit genau zwanzig Jahren im Roten Kreuz engagiert. 1912 wurde er delegierter Arzt der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz und nahm als solcher an beiden Balkankriegen teil. Als Truppenarzt im Ersten Weltkrieg geriet er bereits 1914 in russische Kriegsgefangenschaft, in der er bis 1920 – angeblich freiwillig, was neuere Forschungsergebnisse in Frage stellen – verblieb und – wie es für kriegsgefangene Ärzte üblich war – als Arzt wirkte. Burghard Breitners Renommee war nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft ungeheuer, er erhielt von der Öffentlichkeit den Beinamen „Engel von Sibirien”, eine Legendenbildung, an der er selbst durchaus mitwirkte.
Seit seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg galt Breitners Interesse neben der Chirurgie der Ausbildung von Personal und der Vereinheitlichung von Strukturen im Rettungswesen. Als Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz (1932) wie als Präsident des 1928 gegründeten Österreichischen Zentralverbandes für Rettungswesen (1933) bemühte er sich um die operative Zusammenarbeit beider Organisationen. Als Vorstand der Innsbrucker Universitätsklinik für Chirurgie führte er deren von seinem Vorgänger Egon Ranzi begonnene Öffnung für die Ausbildung von Sanitätern weiter und hielt darüber hinaus notfallmedizinische Schulungsvorträge. Vermutlich folgte Burghard Breitner Egon Ranzi 1932 auch als Vizepräsident des Landesvereines vom Roten Kreuz für Tirol nach, spätestens 1934 ist er in dieser Funktion zweifelsfrei belegbar.
Burghard Breitners Rolle im Dritten Reich stellt sich schillernd dar: Einerseits konnte er als Deutschnationaler am Nationalsozialismus ideologisch sehr gut andocken und wurde spätestens 1939 gesichert, möglicherweise schon 1932[1] Mitglied der NSDAP, andererseits war seine Stellung als Vorstand der Innsbrucker Chirurgie immer wieder dadurch bedroht, dass Breitner den vollen Ariernachweis nicht erbringen konnte. Er wurde mehrmals zwangspensioniert, dann aber immer wieder in seine Funktion eingesetzt. Vom hochgradig nationalsozialistisch geprägten Rektor der Universität Innsbruck Harold Steinacker unterstützt, gelangte sein Fall bis in die Reichskanzlei, die 1941 – angeblich auch auf Intervention von Emmy Göring[2] – entschied, Breitner innerhalb der Wehrmacht (Breitner war beratender Chirurg des Chirurgen des XVIII. Armeekorps) Deutschblütigen gleichzustellen, nicht aber innerhalb der NSDAP[3]. Davon unbeschadet wurde er qua seiner Funktion „ad personam“ ermächtigt, an der Innsbrucker Chirurgie gemäß dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Zwangssterilisierungen und -kastrationen vorzunehmen. Ein Quellennachweis dafür, dass Breitner selbst Zwangssterilisierungen und -kastrationen durchführte, existiert – bei allerdings allgemein schlechter Quellenlage – nicht, er schlug aber durchaus Maßnahmen vor, um die Abläufe zu optimieren. Burghard Breitner trug in seiner Funktion als Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie jedenfalls die Verantwortung für die Durchführung von mindestens 40 belegbaren Eingriffen zur Zwangssterilisation und -kastration. Neben Breitners Rolle im Rahmen der Erbgesundheitspolitik im Gau Tirol-Vorarlberg wirft seine Rolle bei der Austestung eines von SS-Lagerarzt Sigmund Rascher entwickelten Blutstillungsmedikamentes an der Innsbrucker Chirurgie ethische Fragen auf. Rascher hatte das Medikament im Außenlager Lochau des Konzentrationslagers Dachau entwickelt und es getestet, indem er Gefangene anschoss. Er wurde später verhaftet, das Medikament von Kurt Plötner weiterentwickelt. Der Oxforder Medizinhistoriker Paul Weindling, der den Fall untersuchte, gab 2016, kurz nachdem er zu einem Forschungsaufenthalt in Innsbruck gewesen war, folgende Einschätzung ab: „I presume that Breitner only tested the product while conducting operations, and that he did this with due care. That the initial contact was with Rascher shows that Breitner did not see a problem with dealing with an SS physician at Dachau. This could be seen as ethically a problem.“[4]
Nach dem kriegsbedingten Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde Burghard Breitner im Jahre 1946 als nach dem Verbotsgesetz vom 08.05.1945 registrierungspflichtiger ehemaliger Nationalsozialist seiner Stelle als Professor der Universität Innsbruck enthoben. Wohl ausgelöst durch das nun folgende Volksgerichtsverfahren (NS-Registrierungsverfahren, vulgo „Entnazifizierungsverfahren“) trat er im September 1946 als Präsident des Landesverbandes Tirol der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz zurück. Nachdem es ihm gelungen war, wahrheitswidrig glaubhaft zu machen, dass er niemals Mitglied der NSDAP gewesen sei bzw. von seiner Mitgliedschaft in der NSDAP nichts gewusst habe, wurde er aus der Liste der registrierungspflichtigen Nationalsozialisten komplett gestrichen. 1948 rehabilitierte ihn der Landesverband und die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck ernannte ihn zum Ehrenmitglied.
1950 wurde Burghard Breitner Präsident der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, 1952/53 Rektor der Universität Innsbruck. Bei der Bundespräsidentenwahl 1951 kandidierte er als Parteiloser auf Vorschlag des Verbandes der Unabhängigen (VDU), der Vorgängerpartei der heutigen FPÖ.
Als Burghard Breitner 1956 verstarb, stellte die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck Totenwache und Sargträger.
Quellennachweise
- ↑ LFU (Archiv der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck), Personalakt Burghard Breitner: Personalnachrichten über den Direktor der chirurg. Univ. Klinik Innsbruck Prof. Dr. Burghard Breitner, o. Dat. [1939 – 1945]; in dem von Breitner eigenhändig ausgefüllten Personalbogen wird als Eintrittsdatum in die NSDAP „Nov. 1932 ” mit der Mitgliedsnummer 72.92.580 angegeben. Dem stehen Einträge auf seiner Karteikarte in der NSADP-Mitgliederkartei [vgl. BArch (Bundesarchiv Berlin), BDC MF-Ortsgruppenkartei, R 9361, VIII/Kartei C0145, Burghard Breitner: Aufnahme beantragt am 16.12.1938, Aufnahme am 1.12.1939, Mitgliedsnummer 7.292.58, zit. N. Ina Friedmann, „Man könnte direkt zweifeln, ob der Frager oder die Befragte schwachsinnig ist!“. Zwangssterilisierungen und Zwangskastrationen im Gau Tirol-Vorarlberg unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung der Universität Innsbruck.. Endbericht des Forschungsprojektes „Unfruchtbarmachung“ und „freiwillige Entmannung“. Die Innsbrucker Universitätskliniken und die Erbgesundheitsgerichte des Reichsgaues Tirol und Vorarlberg. Innsbruck: Institut für Zeitgeschichte, 2020, https://www.erinnern.at/media/bc24cfe361c141649859e854732d3c35/zwangssterilisierungen-und-zwangskastrationen-im-gau-tirol-vorarlberg.pdf/@@download/file/Zwangssterilisierungen%20und%20Zwangskastrationen%20im%20Gau%20Tirol-%20Vorarlberg.pdf (Zugriff: 12.06.2025, 11:08).]. entgegen. Daher besteht der Verdacht, dass Breitners Personalbogen an dieser Stelle manipuliert wurde, wofür eine vermutete Löschung eines früheren Eintrages mit Tintenkiller hindeuten könnte.
- ↑ Vgl. Breitner, Burghard: Hand an zwei Pflügen. Innsbruck: Inn-Verlag, o. J. [1956], 193.
- ↑ Vgl. LFU, Personalakt Burghard Breitner: Brief von Hans Heinrich Lammers, Leiter der Reichskanzlei, an Burghard Breitner vom 26.07.1941, Abschrift vom 20.08.1941.
- ↑ Weindling, Paul: Re: Burghard Breitner and the Faculty of Medicine of the University of Innsbruck, E-Mail an Ernst Pavelka vom 06.12.2016, 22:11 Uhr.
Ernst Pavelka, 27.03.2025