Exponat des Monats 11/2020

Aus Rotkreuz Museum Innsbruck
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Bronzerelief „Der barmherzige Samariter“ / Heinrich Fuss, 1912

Von 1912 bis 1960, eventuell auch noch länger, wurde Mitgliedern des Roten Kreuzes Innsbruck, die zu Ehrenmitgliedern ernannt wurden, als Ehrenurkunde ein Bronzerelief von Heinrich Fuss (oder „Fuß“), welches das Sujet des „Barmherzigen Samariters“ darstellt, überreicht. Von den zahlreich gegossenen Reliefs hat sich im Archiv der Freiwilligen Rettung Innsbruck ein einziges Exemplar erhalten. Es handelt sich um jenes, das Gründervater Leo Stainer im Jahre 1917 überreicht worden war.

Heinrich Fuss: Der barmherzige Samariter, 1912. – Ehrenurkunde für Leo Stainer, 1917. – Archiv der Freiwilligen Rettung Innsbruck

Der barmherzige Samariter im Kontext des Rettungswesens

⇨ Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter

Die biblische Perikope mit dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lk 10,24–37) stellt einen der zentralsten Texte des Christentums dar. Bei den Samaritanern handelt es sich um eine jüdische Splittergruppe, die zur Zeit des 1. Jhds. n. Chr. in unmittelbarer Naherwartung des Messias lebte, ausschließlich den Pentateuch als Basis ihrer religiösen Überzeugungen akzeptierte und im 5. Jhd. v. auf dem Berg Garizim, den sie als den eigentlichen Ort – nicht den Tempel in Jerusalem – der Anbetung Gottes ansahen und auf den sie sich zurückzogen, errichtete. Von etablierten Juden wurden sie scheel angesehen, wenn nicht verachtet.

Heinrich Fuss: Der barmherzige Samariter, 1912 (Detail). – Ehrenurkunde für Leo Stainer, 1917. – Archiv der Freiwilligen Rettung Innsbruck

Der Samariter des Neuen Testaments wird nun allerdings zu jenem, der unbeschadet der religiösen Differenzen zwischen der jüdischen Splittergrupper der Samaritaner, der er angehört, und dem „offiziellen“ Judentum, aber auch der Grenzen, die das jüdische Gesetz zieht, dem Verunglückten hilft, weil er ihm zum Nächsten geworden ist. Damit bestehen inhaltliche Überschneidungen zum Kerngedanken des Roten Kreuzes, zunächst in der Kriegsopferfürsorge, dann auch in seinen zivilen Tätigkeitsfeldern Menschen ohne Ansehen von Herkunft, Nation, politischer Einstellung oder Religion zu helfen. Henry Dunant, „spiritus rector“ der Gründung des Roten Kreuzes (1863) und der Schaffung der ersten Genfer Konvention (1864), verstand vor dem Hintergrund seines persönlichen, calvinistischen Christentums sein Werk ausdrücklich als Fall tätiger Nächstenliebe im Sinne eines „Samaritertums“ – unbeschadet des Umstands, dass das Rote Kreuz sich gegenüber religiösen Überzeugungen welcher Art auch immer indifferent verhält.

Von der biblischen Perikope herkommend handelt es sich bei „Samariter“ auch um eine altertümliche Bezeichnung für den Sanitäter oder den Ersthelfer. Der Begriff war in dieser Bedeutung schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Verwendung. In der Nachkriegszeit verblasste die allgemeine Verwendung zunehmend, spätestens ab 1955 wurde er nur mehr von älteren Rettungsmitgliedern, von denen einige noch die Gründungszeit erlebt hatten, alltagssprachlich gebraucht. Dennoch scheint er in Protokollen von Sitzungen der Gremien des Roten Kreuzes Innsbruck aus nicht nachvollziehbaren Gründen bis in die 1980er-Jahre hinein regelmäßig auf. Historische Dachorganisationen für das Rettungswesen, wie der Deutsch-tirolische Samariterbund (gegr. 1912, später Tiroler Samariterbund vom Roten Kreuz) oder der Österreichische Samariterreichsverband (gegr. 1913) trugen den Begriff im Namen, in Arbeiter-Samariter-Bund hat er sich bis heute erhalten.


Das Relief von Heinrich Fuss

Franz Kranewitter: Zur Gründung des deutschtirolischen Samariter-Landesverbandes und des fünfjährigen Bestandes der Rettungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck sowie der Ernennung der Herren Dr. Hörtnagl und Dr. Tschamler zur Ehrenmitgliedern. In: Sechster Jahresbericht der Rettungs-Abteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck 1912. Rettungsabteilung der der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck (Hg.). Innsbruck: Selbstverlag, 1913, o. Pag. – Archiv der Freiwilligen Rettung Innsbruck

Bei einer Feier zum fünfjährigen Bestehen der Rettungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck und zur Gründung des Deutsch-tirolischen Samariterlandesverbandes, die am Abend des 12.05.1912 im „Saale beim ‚Grauen Bären‘” stattgefunden hatte, überreichte der Obmann der Rettungsabteilung, Leo Stainer, den beiden Abteilungsärzten Dr. Franz Hörtnagl und Dr. Viktor Tschamler anlässlich ihrer Ernennung zu Ehrenmitgliedern (25.01.1912) eine „in Erz gegossene Ehrenurkunde, darstellend den barmherzigen Samaritan“ des Innsbrucker Künstlers Heinrich Fuss (oder „Fuß“). Begleitend wurde von Gruppenführer-Stellvertreter Hans Munding das Gedicht „Der barmherzige Samaritan“ von Franz Kranewitter vorgetragen.

Heinrich Fuss (07.07.1845 – 10.12.1913)

Der aus Niederösterreich stammende, als Sohn eines nach der bürgerlichen Revolution 1848 verarmten Müllermeisters geborene und nach dem Tod des Vaters an Typhus bei der Mutter aufgewachsene Heinrich Fuss, sollte ursprünglich Kaufmann werden. Nachdem seine künstlerische Begabung entdeckt wurde, konnte er eine Lehre als Steinmetz absolvieren. Als Bildhauer war er nach anderweitiger künstlerischer Ausbildung ein Schüler von Carl Kundmann (Admiral-Tegetthoff-Denkmal, Praterstern, Wien) an der Akademie der bildenden Künste in Wien. In Wien fertigte er u. a. Reliefs für das Kunsthistorische Museum sowie die Statuen „Treue“ und „Stärke“ für das Neue Rathaus. Seit 1878 unterrichtete er an der neugegründeten Zeichen- und Modellierschule in Innsbruck. In dieser Zeit entstand u. a. eine Portraitbüste des Kronprinzen Rudolf. Als Hauptwerk gilt sein 1883 enthülltes Tegetthoff-Denkmal in Marburg. Den Auftrag hatte Fuss der Teilnahme an einem Wettbewerb für das Tegetthoff-Denkmal in Pola, den zwar Carl Kundmann gewonnen hatte, bei dem der Entwurf Fussens aber Aufmerksamkeit erregt hatte, zu verdanken. Für den Neubau der Innsbrucker Stadtsäle schuf er 1889 die Giebelgruppe „Musik und Tanz“, für das Grazer Rathaus 1891 die allegorischen Figuren „Kunst“, „Handel“ und „Wissenschaft“. 1893 überarbeitete Heinrich Fuss gemeinsam mit Johann Deininger das ursprüngliche Brunnenensemble des Leopoldsbrunnens mit dem Reiterstandbild Leopolds V. und zehn weiteren allegorischen Figuren von Caspar Gras zum heutigen Leopoldsbrunnen. Ein Werk, das damals heftig umstritten war. Eine Figur Major Speckbachers aus dem Jahre 1894 wurde von Kaiser Franz Josef I. angekauft. 1899 gewann Fuss einen Wettbewerb für das Franz-Liszt-Denkmal in Weimar. Neben diesen Werken schuf Heinrich Fuss u. a. Figuren für Grabdenkmäler in Stein und Bronze, Portraitbüsten und Reliefs. 1910 trat er aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. Anlässlich seines Ablebens am 10.12.1913 widmete das Ferdinandeum Heinrich Fuss eine am 01.04.1914 eröffnete Gedenkausstellung.

Zur Entstehung des Reliefs von Heinrich Fuss

Beschilderung der Ehrenurkunde von Leo Stainer, 1917. – 1897 gibt das Jahr des Eintritts von Leo Stainer in die Sanitätsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck an. 1907 das Jahr der Gründung der Rettungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck. Auffallend ist, dass als Datum der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der 13.09.1917 angeführt wird. Dem widersprechen schriftliche Quellen, die die Verleihung am 30.09.1917 belegen. Ein Irrtum? – Archiv der Freiwilligen Rettung Innsbruck

Das Relief des Barmherzigen Samariters, das Dr. Viktor Tschamler und Dr. Franz Hörtnagl als Ehrenmitgliedsurkunde 1912 überreicht worden war, hatte Heinrich Fuss der Rettungsabteilung geschenkt. Die Schenkung betraf aber nicht nur das einzelne gegossene Exemplar, sondern auch die Gussform. Das Werk konnte somit als jeweils neu gegossenes Exemplar auch anderen Rettungsmitgliedern aus Anlass der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft als Urkunde überreicht werden. Das Exemplar, das Leo Stainer 1917 erhalten hatte, hängt heute unter einer Büste, die von Hans Pontiller nach dem Anlitz Stainers 1959 gefertigt worden war, an der Wand vor dem Büro der Geschäftsführung des Roten Kreuzes Innsbruck. Es ist gleichzeitig das einzige Exemplar eines Gusses der Arbeit von Fuss, das beim Roten Kreuz Innsbruck noch erhalten ist.

Obwohl die Protokolle der Jahreshauptversammlungen, bei denen die Ehrungen häufig stattfanden, die Überreichung des Reliefs an die Ehrenmitglieder meistens nicht ausdrücklich erwähnen, muss es sich um eine regelmäßige Praxis gehandelt haben, für die schon im vorhinein mehrere Reliefe als Vorrat in Auftrag gegeben wurden. Die Quellen enthalten keine Angaben darüber, bei welchem oder welchen Unternehmen das Kunstwerk jeweils gegossen wurde. Dennoch kann wohl davon ausgegangen werden, dass es sich um einen oder mehrer externe Dienstleister gehandelt haben wird, nachdem die Kosten für die Herstellung vom engeren Ausschuss bewilligt werden mussten. Das Relief von Heinrich Fuss wurde nicht nur als Ehrenmitgliedsurkunde, sondern auch zu anderen Ehrungen ausgegeben: So erhielt Gruppenführer-Stellvertreter Josef Torggler das Werk anlässlich seiner Silbernen Hochzeit im September 1927. Als Obmann Leo Stainer 1934 zur Feier des 25-jährigen Bestandsjubiläums der Salzburger Freiwilligen Rettungsgesellschaft und zur V. Österreichischen Rettungstagung ( 29.06. – 01.07.1934) des Österreichischen Zentralverbandes für Rettungswesen nach Salzburg anreiste, hatte er als Gastgeschenk einen Guss des Reliefs von Heinrich Fuss im Gepäck.

Wie lange das Relief als Ehrenmitgliedsurkunde oder aus anderen festlichen Anlässen vergeben wurde, ist nicht ganz klar. Die letzte schriftlich dokumentierte Vergabe erfolgte anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an den Innsbrucker Bürgermeister DDr. Alois Lugger am 20.05.1960. Ebenso liegt der Verbleib der Gussform im Dunkeln.


Ernst Pavelka, 23.11.2020.