1925-1938 Die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck in turbulenter Zeit

Aus Rotkreuz Museum Innsbruck
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Der Weg in die Selbständigkeit

Am 3. September 1925 konstitutierte sich die Rettungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck in einer außerordentlichen Hauptversammlung zur Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck neu. Am 15. und 16.8. hatte der Landesverband für Feuerwehr- und Rettungswesen in Reutte getagt und beschlossen, dass große selbständige Rettungsabteilungen aus den Feuerwehrkörperschaften ausscheiden sollten. Grund war, dass die Tätigkeiten der Rettungsabteilungen schon geraume Zeit über den Wirkungskreis des Feuerwehrwesens weit hinausgewachsen waren. Gleichzeitig löste sich auch der Tiroler Samariterbund wieder vom Feuerwehrverband (Gründungsversammlung am 27.9.1925).

Am 25.8. beschloss die Kommandantschaft der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck das Ausscheiden der Rettungsabteilung.

Zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck zählte die Rettungsabteilung 890 beitragende, 46 ausübende Mitglieder, vier hauptberufliche Mitarbeiter (zwei Kraftfahrer und zwei Sanitätsmänner) sowie drei Anwärter. Als Abteilungsärzte fungierten nach wie vor Dr. Franz Hörtnagl und Dr. Viktor Tschamler. Obmann war immer noch Gründervater Leo Stainer, sein Stellvertreter Anton Gasser.

Im Jahr 1925 fanden 2.842 Ausrückungen statt, von denen 1818 auf Krankentransporte, 1024 auf rettungsdienstliche Einsätze inklusive 43 Fehlfahrten entfielen. Ambulanzen bei Veranstaltungen waren 516 durchgeführt worden.

Der Hausbau in der Wilhelm-Greil-Straße und die Führung von Wirtschaftsbetrieben

Schon die Jahre 1924 und 1925 waren stark vom Anliegen, ein eigenes Rettungsheim zu schaffen, geprägt gewesen. Schon vor dem Krieg hatte man sich mit einem solchen Gedanken getragen und einen Hausbaufond angelegt, dessen Gelder aber in Kriegsanleihen angelegt worden und somit verloren waren.

Der Verlauf der Welsergasse um 1930.

Ab 1923 wurden die Probleme drängender, den stetig anwachsenden Fuhrpark und Gerätschaften, wie Trag- und Räderbahren, unterzubringen. Das Material war an sechs verschiedenen Standorten provisorisch und oft nicht sachgerecht gelagert, zwei Rettungswagen hatten an andere Rettungsabteilungen abgegeben werden müssen, weil man nicht wusste, wo man sie abstellen sollte. Erschwerend war zudem der Umstand, dass man 1924 die bisher genutzten Räume im Rathaus dem Stadtpolizeiamt überlassen und ungünstigere Räumlichkeiten beziehen hatte müssen. In der Jahreshauptversammlung 1924 versprach Bürgermeister Anton Eder zwar, sein Möglichstes zu Tun, um die Angelegenheit einer Lösung zuzuführen, doch folgten diesem Versprechen keine Taten.

1925 konnte man schließlich um insgesamt 43.075,91 Schilling einen Baugrund vor der Kreuzung der damaligen Welsergasse mit der Salurnerstraße (Welsergasse 7a) – die Welsergasse zog sich damals schräg über den heutigen Eduard-Wallnöfer-Platz – erwerben und den Entwurf eines Hausbauplanes anfertigen lassen. Den Beschluss dazu hatte der Erweiterte Ausschuss am 25.2. gefällt. Durch Erlöse aus der Tätigkeit des Aktionskomitees und Geldern aus dem Stiftungsfond konnten etwas mehr zwei Drittel der Kosten bestritten werden, wenn man auch mit einem Verlust ausstieg.

In den Jahren 1926 und 1927 wurde das Projekt, auf dem in der Wilhelm-Greil-Straße (damals Ende Welsergasse) erworbenen Grund eine neue Rettungsstation zu errichten, mit starkem Schwung vorangetrieben. Wesentlicher Motor war der Obmann des Aktionskomitees, Ing. Julius Gruder.

Gruder war selbst Bauunternehmer und hatte durch sein Büro auch den Entwurf des Hausbauplanes anfertigen lassen. Obwohl die eigentlichen Baupläne mit Ende Juli 1926 fertiggestellt waren, entschied man sich, einen von Gruder selbst vorgeschlagenen Architekturwettbewerb, von dem man sich eine Reihe neuer Ideen erwartete, zu veranstalten. Die von ungefähr 20 Architekten eingereichten Entwürfe blieben allerdings weit hinter den Vorstellungen der Rettungsgesellschaft zurück, sodass nicht einmal ein erster Preis, sondern nur ein zweiter sowie zwei dritte Preise vergeben werden konnten.

Am 1. Oktober 1926 wurde schließlich das Ingenieurbüro Gruder mit der Bauleitung beauftragt. Es erhielt dafür eine Vergütung von 3½ Prozent der gesamten Bausumme zugesprochen. Der endgültige Bauplan, der in einer Bausitzung am 5. Oktober 1926 vom Engeren Ausschuss der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck einstimmig angenommen wurde, sah nicht nur die für den Betrieb des Rettungs- und Krankentransportbetriebes ausgelegten Einrichtungen vor, sondern auch Wohnungen, Geschäftslokale und ein Kino.

Zwischen 5. und 8.10. wurde der Bau schließlich ausgeschrieben. Von 27 Anboten kamen fünf in die engere Auswahl. Aus einer Wahl unter den Mitgliedern des Engeren Ausschusses in der Bausitzung vom 8. Oktober 1926 ging schließlich die Firma Huter & Söhne mit einem Gesamtkostenangebot von 234.000 Schilling als bauausführendes Unternehmen siegreich hervor. Die Professionistenarbeiten wurden an jeweils unterschiedliche Firmen vergeben.

Bevor man jedoch darangehen konnte, das Haus zu bauen, musste die Finanzierung des auf rund 500.000 Schilling veranschlagten Baues gesichert werden. Der Hausbaufond war nach Erwerb des Baugrundes und Bezahlung des Bauplanes mit einem Schuldenstand von 6.484,60 Schilling ausgestiegen. Daher wurde die Finanzierung auf mehrere finanzielle Grundstöcke gestellt: Durch eine ab April 1926 (Verkauf der Lose) durchgeführte Effektenlotterie wurden 49.032,10 Schilling lukriert. Die Lose wurden u. a. bei Haussammlungen sowie auf der Innsbrucker Messe feilgeboten. Zudem wurden die aus der Bauausschreibung siegreich hervorgegangenen Firmen nicht nur zur Abnahme von 25.000 Losen verpflichtet, sondern die Bauausführung selbst von einem guten Erfolg des Losverkaufes abhängig gemacht. Deswegen wurde die Lotterieziehung zweimal verschoben und schließlich für den 11. Oktober 1926 anberaumt, um die Bauausschreibung noch davor zeitlich unterbringen zu können. Weitere Finanzierungsmethoden bestanden u. a. in der Möglichkeit, „Bausteine“, für die von Leo Stainer selbst die entsprechenden Drucksorten hergestellt wurden, zu 50 Groschen, 1 und 5 Schilling zu erwerben, im Verkauf von Kellnerblöcken mit Werbeeinschaltungen, in der Ausgabe von mit jährlich zu 5% verzinsten Schuldverschreibungen sowie in der Herausgabe einer Verschlussmarkenserie. Im Zuge der Wohnungsvergabe wurden außerdem Mietzinsvorauszahlungen als Darlehen entgegengenommen.

Nach diesen Maßnahmen fehlten jedoch immer noch rund 265.000 Schilling. Daher wurde bei der Innsbrucker Sparkasse ein Kredit über diesen Betrag aufgenommen. Die Haftung übernahm zunächst interimistisch die Firma Johann Huter & Söhne bis 150.000 Schilling, da die Sparkasse – vermutlich aufgrund eines ungünstigen Berichtes der Baukommission – die Gewährung des Kredites bis zur Erreichung der Dachgleiche zurückgezogen hatte, später dann die Stadt Innsbruck für die gesamte Summe. In der Jahreshauptversammlung vom 5.4.1927 wurde auf Initiative von Vizebürgermeister Franz Fischer ein Verwaltungsausschuss aus Mitgliedern der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck, des Gemeinderates, der Innsbrucker Sparkasse sowie des Landes- und Frauenhilfsvereines vom Roten Kreuz eingesetzt. Er sollte das Vertrauen der Kreditgeber durch gleichbleibende Verhandlungspartner auch im Falle von Neuwahlen gewährleisten.

Um die Hypotheken zu amortisieren, war der ganze Bau auf einen möglichst hohen finanziellen Ertrag durch das Haupthaus angelegt. Dieser sollte durch Wohnungen, Läden sowie den Betrieb eines Kinos, der „Kammerlichtspiele“, erwirtschaftet werden. Man sah dies allerdings auch als einen Schritt zu langfristiger Unabhängigkeit von einem ausschließlich durch Spenden und städtischen Zuwendungen finanzierten Betrieb der Freiwilligen Rettungsgesellschaft. Aus demselben Grund wurde auf dem im Jahre 1930 von der Stadt erworbenen Nachbargrundstück 1933 ein weiterer Bau mit Wohnungen sowie einer Gastwirtschaft (Betriebsaufnahme 1935), dem Stieglbräu, errichtet.

Die Notwendigkeit, die Durchführung des gemeinnützigen Vereinsszweckes durch die Führung von Betrieben auf eine stabile finanzielle Grundlage zu stellen, hatte man schon früh erkannt. Es spielte dabei insbesondere auch der Umstand eine Rolle, dass der Rettungsdienst, weil völlig kostenlos durchgeführt, niemals kostendeckend sein konnte – und es bis heute nicht ist. Im Krankentransport waren zudem die Kosten oft nicht einbringlich oder wurden wegen finanzieller Notlagen Patienten entweder ganz erlassen oder beträchtlich reduziert. Schlussendlich wollte man langfristig neben dem Rettungsdienst auch den Krankentransport für die Patienten kostenlos anbieten. Ein weiteres Movens, den Hausbau auch in Richtung der Lukrierung von finanziellen Erträgen anzulegen, war die Erfahrung der schlechten bis prekären finanziellen Lage, der sich die Rettung Innsbruck während und nach dem Ersten Weltkrieg ausgesetzt gesehen hatte.

Mit den Hausbauten von 1926/27 sowie 1933 und der mit ihnen einhergehenden Einrichtung eines Kinobetriebes (1928), einer Gastwirtschaft (1935) sowie der Vermietung von Wohnungen und Geschäftslokalen stehen wir am Beginn der noch heute bestehenden wirtschaftsbetrieblichen Tradition der Freiwilligen Rettung Innsbruck. Gesichert seit 1929, möglicherweise und wahrscheinlich aber schon seit 1928, ist die Führung von gewerblichen Betrieben in den Statuten der Freiwilligen Rettung Innsbruck enthalten.

Das 1926/1927 von der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck erbaute Haus in der Wilhelm-Greil-Straße 23 mit den Kammerlichtspielen in einer Aufnahme aus dem Jahre 1957. – Johann Niczky von Niczk, Fotografie, s/w, 24 x 17,5 cm (© Lukas Niczky). – Archiv der Freiwilligen Rettung Innsbruck

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Am 15. Oktober 1926, um 23:30 Uhr, wurde im Engeren Ausschuss der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck schließlich der einstimmige Beschluss zum Bau des neuen Rettungsheimes in der heutigen Wilhelm-Greil-Straße 23 gefasst. Ganz sicher war man sich bei dem finanziellen Risiko, das einzugehen man sich anschickte, nicht, ob man wirklich bauen sollte. Dem Beschluss war die Frage von Obmann Leo Stainer an Ing. Julius Gruder vorausgegangen, ihm „auf Ehre und Gewissen“ zu sagen, ob er unter den gegebenen finanziellen Bedingungen zum Hausbau rate oder nicht. Gruder antwortete, dass die bisherigen Räumlichkeiten für einen geregelten Dienstbetrieb unmöglich geworden seien, das neue Heim eine Rentabilität von 3 % aufweisen würde und man selbst für den Fall, die jährliche Bilanz würde mit Null abschließen, als Gewinn ein Haus aufweisen könne.

Der Beschluss zum Bau der neuen Rettungswache in der Welsergasse 7a (später: Wilhelm-Greil-Straße 23), 15.10.1926

Der erste Spatenstich erfolgte am 25. Oktober 1926 und wurde im Gasthof Wilder Mann feierlich begangen. Am 14. Mai 1927 folgte in Anwesenheit der Präsidentin des patriotischen Landes- und Frauenhilsfvereines vom Roten Kreuz in Tirol, Ottilie Stainer, die Firstfeier des Neubaues. Am 22. und 23.10.1927 wurden nach etwa einem Jahr Bauzeit die Eröffnungsfeierlichkeiten abgehalten. Während einer von Bischof Sigismund Waitz am 23. zelebrierten Messe wurde der Schlüssel übergeben sowie das Haus und die neue Vereinsfahne geweiht. Als Hauspatin fungierte Ottilie Stainer, als Fahnenpatin Johanna Gruder, Gattin von KR Julius Gruder. Am 1.3.1928 fand die Eröffnungsvorstellung der Kammerlichtspiele mit dem Film „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ statt.

Das Haus in der Wilhelm-Greil-Straße 23 in Fotografien aus dem Jahre 1927

Ausbau des Katastrophenschutzes und der Landstraßenrettungsdienst

Ab 1928 begann sich die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck des Ausbaues des Großunfall- und Katastrophenschutzes anzunehmen. Zwar hatte eine Massenalarmordnung, bei der die Mitglieder durch Gesellschaftsanschlüsse oder Telefone in der Nähe ihrer Wohn- und Arbeitsorte benachrichtigt wurden, seit 1910 bestanden, doch erwies sich diese in Übungen als unzureichend und die Zeit von der Alarmierung bis zum Einrücken der Sanitäter in der Wache als zu lang. 1930 wurde daher die Alarmordnung gründlich überarbeitet. Sie sah jetzt nicht nur eine Alarmierung der Sanitäter per Telefon vor, sondern das Wohngebiet der Mitglieder wurde in fünf Alarmbezirke eingeteilt, für die jeweils ein Alarmführer zuständig war, dem die Benachrichtigung der Sanitäter oblag. Zusätzlich wurden die Polizei und Privatpersonen in die Alarmierung einbezogen. Für die sofortige Stellung von Personal wurde eine „Erste Hilfstruppe“ ins Leben gerufen. Seit 1931 gibt es einen Katastrophenturnusdienst (heute: „Journaldienst“) zur raschen Bereitstellung des Kommandos.

Besondere Bedeutung maß man dem sog. „Landstraßenrettungsdienst“ zu, da man im stetig wachsenden Kraftfahrzeugverkehr bereits das Gefahrenpotential erkannte. Im Landstraßenrettungsdienst wurden entlang der Überlandstraßen im Abstand von 2 bis 5 Kilometern mit einem Fähnchen mit Rotem Kreuz versehene Unfallhilfstellen eingerichtet. Diese fungierten nicht nur als Meldestellen, sondern waren zudem mit einem Rettungskoffer ausgestattet. Die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck erblickte innerhalb dieses Systems ihre Stellung insbesondere in der Bereitstellung einer Überlandrettungszentrale. Die ab Sommer 1932 gestanden habende Einrichtung machte die Anschaffung eines weiteren Sanitätskraftwagens notwendig, um die nun zusätzlich anfallenden Alarmierungen bedienen zu können. Das Einzugsgebiet für den Landstraßenrettungsdienst der Innsbrucker Rettungsgesellschaft erstreckte sich Ende 1937 Richtung Oberland bis nach Zirl, auf der Brennerstraße bis zur Stephansbrücke, auf der Haller Reichsstraße bis nach Rum sowie auf das nächstgelegene Mittelgebirge.

Ebenfalls im Zusammenhang mit den Bestrebungen, den Katastrophenschutz neu zu organisieren, erhielten ab 1929 zusätzlich zu den beiden hauptberuflichen auch ehrenamtliche Kraftfahrer die Berechtigung, Sanitätsfahrzeuge zu steuern. Um die Fahrberechtigung zu erhalten, musste eine Probezeit von einem halben Jahr mit abschließender Prüfung absolviert werden. Man legte Augenmerk darauf, dass die ehrenamtlichen Fahrer die ständigen (hauptamtlichen) nicht ersetzen, sondern nur Ablöse- und Aushilfsdienste, insbesondere im Katastrophenfall leisten sollten.

Eine spezielle Form des Katastrophenschutzes stellte der ab 1933 forcierte Luftschutz dar. Vertreter der Innsbrucker Freiwilligen Rettungsgesellschaft gehörten neben Mitgliedern des Tiroler Samariterbundes vom Roten Kreuz einem von der Tiroler Landesregierung geschaffenen Luftschutzbeirat an. Ziel war es, durch koordinierte Maßnahmen verschiedener Organisationen die Zivilbevölkerung möglichst effizient vor künftigen Luftangriffen zu schützen. Nach umfangreichen Schulungsmaßnahmen in der Behandlung von Gasvergiftungen durch Ärzte, Chemiker und andere Fachleute sowie in der Handhabung von Gasmasken durch den Landesfeuerwehrverband, nahm die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck am 26.9.1934 gemeinsam mit anderen Organisationen an der ersten öffentlichen Luftschutzübung teil. 1935 wurde der Luftschutz verpflichtender Unterrichts- und Prüfungsgegenstand an höheren Schulen und am 24.4. desselben Jahres der Österreichische Luftschutzbund gegründet.

Zwischen den Fronten

Unter Umständen hatte die stärkere Beschäftigung mit dem Katastrophenschutz auch mit der sich immer angespannter entwickelnden politischen Situation durch die Aktivitäten paramilitärischer Selbstschutzverbände, das demonstrative und provokante Auftreten der NSDAP und den autoritären, letztlich vor der Ausschaltung des Parlaments nicht zurückschreckenden Regierungsstil Engelbert Dollfuß' zu tun. So verzeichnete die Rettungsgesellschaft eine verstärkte Inanspruchnahme ihrer Dienste durch politische Unruhen. Zur sog. „Höttinger Saalschlacht“ zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten auf der einen sowie Mitgliedern und Anhängern der NSDAP auf der andern Seite am 27.5.1932 im Gasthof Goldener Bär rückte die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck mit mehreren Ärzten und dem gesamten Fuhrpark mitsamt einem Verkehrsomnibus aus. Die anrückenden Sanitätsfahrzeuge wurden mit Steinen und Bierflaschen beworfen und Sanitäter mit Holzlatten und Stöcken attackiert. Insgesamt verzeichnete man 34 Versorgungen, etwa ein Drittel der Patienten waren schwer verletzt, der SA-Mann Sylvester Fink verstarb aufgrund von Messerstichen und Fußtritten in den Unterleib später in der Klinik.

Im Mai 1933 kam es, nachdem die NSDAP im April einen fulminanten Sieg bei der Wahl zum Innsbrucker Gemeinderat hatte erringen können, bei dem sie nach anfänglichen Misserfolgen, Umstrukturierungen und sogar einer Spaltung neun Mandate erreicht hatte, zu einer Straßenschlacht mit 43 Verletzten. Schon davor hatte es im März Auseinandersetzungen zwischen der Heimatwehr und der NSDAP in Imst und Innsbruck gegeben. Nach einem Attentat auf den Heimatwehrführer Dr. Richard Steidle vor dessen Haus in der Leopoldstraße und einem Bombenattentat auf christlich-deutsche Turner in Krems, wurde die NSDAP am 19.6.1933 verboten. – Am 28. und 29.6.1933 stellte die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck die Großambulanz für das Gedenkfest der Vaterländischen Front aus Anlass der Anwesenheit von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß selbst. Zu dieser Veranstaltung wurden alleine 30.000 Personen von auswärts in Massentransporten nach Innsbruck verbracht.

Während der Februarkämpfe 1934 und nach der Ermordung des Innsbrucker Polizeikommandanten Major Franz Hickl und von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß am 25.7.1934 durch putschende Nationalsozialisten, wurde die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck zwar in volle Alarmbereitschaft versetzt, hatte aber, da Innsbruck von Kampfhandlungen nur peripher berührt wurde, keine einschlägigen Einsätze zu verzeichnen.

Im Jahresbericht für 1933 wird über die Einsätze bei politischen Unruhen besonders hervorgehoben, dass der in der Rettungsgesellschaft herrschende kameradschaftliche Geist über jeder Parteinahme von Mitgliedern stünde. Dass man sich aber überhaupt dazu veranlasst sah, in dieser Richtung öffentlich Stellung zu beziehen, könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass es trotz des Ideals der Kameradschaftlichkeit zu politischen Spannungen auch zwischen Mitgliedern gekommen sein könnte. Jedenfalls hatte der damalige Obmann-Stv. Josef Dinkhauser in der Ausschussitzung vom 30.7.1934 den gemeinsamen kameradschaftlichen Geist gegenüber „Gesinnungs- und Parteihader“ einmahnen müssen. Dem vorausgegangen war ein Bekenntnis zur „vaterländischen, österreichischen Staatstreue“, neben der „anti-vaterländische Gruppen“ in der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck einen Platz nicht fänden. In diese Kerbe schlug denn auch Obmann Leo Stainer, als er in der Monatsversammlung vom 2.8.1934 die Mitglieder vor politischen Äußerungen ebenso wie vor der Mitgliedschaft in „verbotenen Parteien“ (NSDAP und Sozialdemokratische Partei) bei Androhung des Ausschlusses warnte. Alternativ könnte man aber auch annehmen, dass solche Warnungen durch die allgemeine Erfahrung radikalisierter politischer Auseinandersetzungen evoziert gewesen waren. In diesem Falle hätte man versucht, vorbeugend dagegen vorzugehen, dass die Austragung politischer Differenzen in die Rettungsgesellschaft hineingetragen wird, ohne dass dies schon geschehen wäre.

Die Innsbrucker Samariterschule

Die Ausbildung der Sanitäter wurde von Chefarzt Dr. Viktor Tschamler ab 1935 zunehmend erweitert. Sie hatte schon davor zunächst in der Absolvierung des aus theoretischen Vorträgen und praktischen Übungen bestehenden Sanitätskurses mit abschließender Prüfung und sechsmonatiger Probezeit als „Beihelfer“ erfahrener Sanitäter bestanden. Auch wurden laufende Fortbildungen und der wiederkehrende Besuch des Anfängersanitäterkurses im Abstand von einigen Jahren verlangt. Die Schulungen wurden dabei nicht nur von den Ärzten der Rettungsgesellschaft durchgeführt, sondern auch an der chirurgischen Klinik bei Univ.-Prof. Dr. Burghard Breitner, dem späteren Gründer des Landesverbandes Tirol des Österreichischen Roten Kreuzes (1945) sowie Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz (1950). Schon 1928 wurde den „Samaritern“ von Burghard Breitners Vorgänger Egon Ranzi die Möglichkeit eingeräumt, an der chirurgischen Ambulanz im Rahmen der praktischen Aus- und Fortbildung zu volontieren, um ihre Fertigkeiten insbesondere im Anlegen von Verbänden und bei der Umlagerung von Patienten zu schulen.

In dieses Schulungssystem wurden nun auch andere Ärzte mit Vorträgen miteinbezogen. Dr. Tschamlers Anspruch bestand darin, Informationen, die über die unmittelbar zur sanitätsdienstlichen Behandlung von Patienten erforderlichen Kenntnisse hinausgehen, bereitzustellen, da die Art und Weise der Behandlung am Einsatzort wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Krankheitsverlaufes im klinischen Bereich haben konnte. Um dieses Ziel zu erreichen, bemühte er sich, Ressourcen, die durch die Innsbrucker Universitätsklinik gegeben waren, für die Rettungsgesellschaft nutzbar zu machen. 1936 wurden dreizehn Vorträge und Übungen von neun verschiedenen Referenten abgehalten; 1934 waren es noch elf Vorträge und Übungen durch drei Referenten gewesen. Als Dr. Tschamler 1937 für seine Verdienste um die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck sowie den Tiroler Samariterbund geehrt wurde, war von der „'Innsbrucker Samariterschule' […], die kaum in einem anderen Lande Oesterreichs [sic] ihres Gleichen [sic] finden dürfte“, die Rede.

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Ernst Pavelka