Die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck in der Nachkriegszeit
Reorganisation der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck
Der Zweite Weltkrieg endete für Innsbruck – damit aber noch nicht für Tirol – am 3. Mai 1945. Während sich am 1. und 2. Mai die 44. Infanteriedivision der 7. US-Armee gemeinsam mit andern us-amerikanischen Truppen und unter Mithilfe von deutschen Soldaten, die dem Widerstand angehörten, über den Fernpass Richtung Telfs durchkämpfte und zeitgleich ein Regiment der 103. US-Infanteriedivision an der Scharnitzer Klause die Gegenwehr eines Zuges des Bannes Innsbruck der Hitlerjugend durchbrechen musste, übernahm eine Aktionsgemeinschaft aus verschiedenen Widerstandsgruppen, die seit Mitte April vom späteren provisorischen Landeshauptmann und Außenminister Karl Gruber kommandiert wurde, in Innsbruck die Wehrmachtskasernen sowie die Gendarmariekaserne. Auf der Hungerburg verhaftete man den Kommandanten der Divisionsgruppe Innsbruck-Nord, Johannes Böheim. Am 3. Mai wurde dann auch die Polizeidirektion und der Rundfunksender Aldrans übernommen. Nachdem man schon in der Nacht auf den 3. Mai Kontakt zu den amerikanischen Kampftruppen aufgenommen hatte, rückte die 103. Infanteriedivison, die am 2. Mai Zirl erreicht gehabt hatte und wegen der unklaren Situation in Innsbruck dort verweilt war, am Abend des 3. Mai kampflos in die Stadt, in der mittlerweile chaotische Zustände herrschten ein. Sogleich erkannten die Amerikaner denn auch den Provisorischen Exekutiv- und Ordnungsausschuss des Widerstandes unter Karl Gruber an.
Um die Geschäfte der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck nach dem Krieg wieder aufnehmen zu können, wurde am selben Tag, nämlich am 3.5.1945, KR Josef Dinkhauser zu deren kommissarischen Leiter bestimmt. Mit Hilfe des Sicherheitsdirektors der Stadt Innsbruck gelang ihm die Reorganisation der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck. Dieser hatte per Verfügung im Boten für Tirol vom 20.3.1946 Leo Stainer, Josef Dinkhauser, Hans Müller, Franz Rohm und Alois Rauth zur vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte der Rettungsgesellschaft bestimmt. In der wahrscheinlich ersten Monatsversammlung nach dem Krieg vom 9.4.1946 wurden dann bereits Vorschläge für Kandidaten für die Neuwahl des Ausschusses gesammelt und ein Wahlkomitee aus sechs Personen gebildet. Der ehemalige Schriftführer Hans Müller wurde dem Komitee als Berater beigestellt. Am 20.4.1946 wurden Dinkhauser die Personalvorschläge des Wahlkomitees zugestellt.
Die erste und konstituierende Jahreshauptversammlung nach dem Krieg fand am 25.1.1947 schließlich im Gasthof Sailer als 40. Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck statt. Die kommissarische Leitung wurde aufgehoben, die Innsbrucker Rettungsgesellschaft gemäß dem Vereinsreorganisationsgesetz wieder in ihre vollen Rechte und Pflichten eingesetzt. Dabei wurden zunächst die alten Satzungen von 1929 als Grundlage der neuen herangezogen und von der Sicherheitsdirektion genehmigt. Bei der Neuwahl des Ausschusses wurde jetzt KR Josef Dinkhauser Obmann, Gründervater Leo Stainer sein Stellvertreter und Ehrenobmann. Mit der Jahreshauptversammlung vom 29.4.1949 wurde der Name der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck auf „Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck – Bezirksstelle Innsbruck Stadt der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, Landesverband Tirol geändert. Damit hielt zum ersten Mal das Rote Kreuz Einzug in den Namen der Freiwilligen Rettung Innsbruck.
Die Rückerstattung des Realbesitzes
1948 gelang es, auch den Realbesitz, namentlich das Rettungsheim mit den Kammerlichtspielen in der Wilhelm-Greil-Straße 23 sowie das Haus in der Wilhelm-Greil-Straße 25 mit dem Stieglbräu, den man gemäß § 18 der Satzungen bei der Vereinsauflösung der Stadt Innsbruck treuhändisch anvertraut hatte, wieder zurückzuerlangen. Die Übernahme fand am 1.1.1949 statt. Die Rückerstattung war freilich von einem bitteren Beigeschmack begleitet: Mussten für die Rückerstattung selbst Gerichte in Anspruch genommen werden, so waren die Kammerlichtspiele am 3.6.1947 von der den Amerikanern gefolgten französischen Besatzungsmacht als Soldatenkino requiriert worden und der Gasthausbetrieb an einen äußerst ungünstigen Pachtvertrag, den die Stadt Innsbruck wahrscheinlich 1940 mit der Stiegl-Brauerei in Salzburg abgeschlossen hatte, gebunden. Die Beschlagnahme des Kinos durch das Französische Hochkommissariat bedeutete zum einen, dass die lukrativen Abendvorstellungen den Besatzungssoldaten exklusiv vorbehalten blieben. Erst nach und nach konnte sich die Rettungsgesellschaft in zähen Verhandlungen einzelne Abende in der Woche für eigene Vorstellungen sichern, bis am 14.12.1953 der volle Kinobetrieb wieder freigegeben wurde. Zum anderen lieferte man sich mit den Franzosen immer wieder Auseinandersetzungen über eine anteilsmäßige Übernahme der Kosten für den Betrieb und für Reparaturen von Schäden, die auch von den französischen Soldaten verursacht worden waren.
Die Rückgabe des Realbesitzes und damit der Wirtschaftsbetriebe wurde als äußerst dringlich angesehen, da man nach dem Krieg ein gewaltiges Defizit zu verzeichnen hatte. Ende 1948 betrug dieses öS 89.694,88. Grund waren einerseits hohe Reparaturkosten für die Fahrzeuge, andererseits der kostenlos angebotene Rettungsdienst, dessen Abgänge vor 1938 durch die Einnahmen aus den Wirtschaftsbetrieben und nach 1938-1945 durch jährliche Zuwendungen der Stadt Innsbruck von 40.000 Reichsmark gedeckt worden waren. Bei den Krankentransporten überschritten die tatsächlichen Kosten pro Kilometer von S 2,98 den offiziellen Tarif um S 1,19. Nachdem die Rettungsgesellschaft ihren Realbesitz wieder zurückerlangt hatte, konnte das Defizit mit Ende des Jahres 1949 auf S 37.792,46 reduziert werden.
Die wirtschaftliche Situation
Insgesamt befand man sich – so wie schon nach dem Ersten Weltkrieg – in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Tirol erlebte in den Jahren 1943-1948 seine letzte Mangelkrise. Seit Kriegsbeginn hatten die Nationalsozialisten durch ein hohes Maß an Organisation bei der Lebensmittelversorgung – schon drei Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die freie Lebensmittelwirtschaft zugunsten eines Rationierungssystems mit Lebensmittelkarten abgeschafft – versucht, einen durch den Krieg verursachten Lebensmittelmangel bei der Bevölkerung nicht aufkommen zu lassen, wie dies noch während des Ersten Weltkriegs geschehen war. Dies gelang auch bis zu Beginn des Jahres 1943. Von da an mussten – mit Ausnahme einzelner Grundnahrungsmittel – die zugeteilten Rationen sukzessive reduziert werden: War der Nährwert der zugeteilten Lebensmittel bei Kriegsausbruch 1939 noch bei täglich 2.600 Kcal gelegen, so lag er im Februar 1945 nur mehr bei 1500 Kcal, im Juni 1945 auf dem absoluten Tiefstand von 846 Kcal. An dieser prekären Situation sollte sich bis Herbst 1948 nichts ändern. Versuche der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck, im Jahre 1946 vom Ernährungsamt zusätzliche Lebensmittelkarten für die Dienstmannschaften zu erhalten, wurden von diesem abschlägig behandelt.
Die Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit traf die Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck auch bei der Erhaltung des Fuhrparks und der Bekleidung. 1949 hatte man zwar aus dem Erlös von Sammlungen des 1945 neu gegründeten Landesverbandes Tirol der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz einen neuen Rettungswagen ankaufen können, doch der restliche, mittlerweile aus sechs Fahrzeugen bestehende Fuhrpark war überaltet. Zuletzt waren 1941/42 neue Wagen angeschafft worden. Die veralteten Fahrzeuge zeitigten viele Reparaturen, einen hohen Kraftstoff- und Ölverbauch und durch den schlechten Zustand der Straßen einen erhöhten Reifenverschleiß. Die fehlenden Ersatzteile und Betriebsstoffe mussten oftmals zu überhöhten Schleichhandelspreisen auf dem blühenden Schwarzmarkt erworben werden. Erst im Jahre 1950 wurden drei neue Rettungswägen der Marke Steyr-Fiat erworben und in Dienst gestellt. 1952 folgten schließlich Volkswagen Transporter T1. Es handelt sich um den berühmten „Bulli“. Zum ersten Mal kommen jetzt Blaulicht, Doppeltonhorn und schwenkbare Suchscheinwerfer zum Einsatz. Das Auto selbst wird gegenüber früheren Fahrzeugen als sparsam im Verbrauch, sehr geräumig (Transport von zwei bis drei Patienten möglich) und zweckmäßig aufgebaut erlebt. Auch die geringe Anzahl an erforderlichen Reparaturen wird lobend erwähnt. Von 1949 bis 1953 wurde jährlich ein neuer Rettungswagen in Betrieb gestellt, sodass bis 1954 der gesamte Fuhrpark erneuert werden konnte.
Was die Bekleidung betrifft, so führte der hohe Verschleiß an Uniformen bei gleichzeitiger Verknappung der Spinnstoffe dazu, dass die meisten Sanitäter ihren Dienst in Zivilkleidung versehen mussten. Einer neuen Uniformierung und insbesondere der Anschaffung von Winteruniformen wurde daher höchste Priorität eingeräumt. 1950 konnten 77 Uniformen angeschafft und so alle Sanitäter zumindest mit für sommerlich Temperaturen geeigneten Bekleidungen ausgestattet werden. Die Anschaffung von Winteruniformen blieb aber nach wie vor ein Desiderat. Mittelst einer Subvention der Stadt Innsbruck war es 1952 endlich möglich, zumindest an die Hälfte der Sanitätsmannschaft warme Überröcke auszugeben.
Entwicklung des Großunfall und Katastrophenschutzes
Im Rahmen des Großunfall- und Katastrophenschutzes erfolgt in einer im Anschluss an die Generalversammlung des Landesverbandes Tirol der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz am 7.5.1949 gemeinsam mit der Bundesbahn und der Polizei stattfindenden Schauübung mit Annahme eines Zugszusammenstoßes auf der Mittenwaldstrecke, erstmals in der Geschichte der Freiwilligen Rettung Innsbruck eine Alarmierung der Mannschaft über den Rundfunk. Bereits zehn Minuten nach der Alarmierung waren die ersten Rettungswägen, 30 Minuten danach fast alle Sanitäter und Hilfsschwestern am Unglücksort.
1953 tritt eine neue Alarmordnung in Kraft, nach der im Falle eines Großunfalles die Mitglieder über zwei Amtsleitungen verständigt werden. An diese haben 27 Sanitäter direkten Anschluss. Die Alarmordnung sieht außerdem vor, dass das erste in der Station eintreffende Ausschussmitglied in der Wache verbleibend die Leitung über den gesamten Einsatz übernimmt.
Am 31.7.1954 wurde das 1949 beübte Szenario eines Zugszusammenstoßes auf der Mittenwaldstrecke tatsächlich Realität: Im Bereich der Ausweiche Kranebitten stießen zwei Züge zusammen. Die Anfahrtszeit der ersten drei Rettungswagen betrug vier Minuten, gefolgt von einem vierten Wagen und einem Motorrad mit Arzt. Allerdings musste dann noch zu Fuß, vollbepackt mit Material, durch mehrere Tunnels hindurch die Schienen entlang bis zur Unfallstelle vorgedrungen werden. Insgesamt wurden bei dem rund vierstündigen Einsatz 62 Personen, davon drei Schwerverletzte, versorgt und abtransportiert.
Das Aus- und Fortbildungswesen
1954 übernahm Dr. Hans Steidl an Stelle des schwer erkrankten Dr. Viktor Tschamler die Leitung der Ausbildung. Er führte das Konzept Dr. Viktor Tschamlers einer „Innsbrucker Samariterschule“, das Ärzte der Universitätsklinik Innsbruck als Lehrende vorsah, weiter. Der sogenannte „Grundschulungskurs“, der auch als Erste-Hilfe-Kurs für die breitere Bevölkerung gedacht war, umfasste im Jahre 1955 je 10 Schulungabende an theoretischem und praktischem Unterricht, an denen 92 Personen teilnahmen. Während die theoretischen Unterrrichseinheiten ausschließlich von Ärzten bestritten wurden, assistierten beim praktischen Turnus Ehrenobmann Leo Stainer sowie Gruppenführer und Sanitäter den Ärzten. Ärztliche Vorträge zur Fortbildung fanden – wie auch schon in den Jahren vor dem Dritten Reich – im Rahmen der Monatsversammlungen, monatlich stattfindender Informationsveranstaltungen für die Mitglieder, bei denen aber auch über bestimmte Fragen abgestimmt wurde, statt.
Im Jahre 1955 beschäftigten sich drei von sechs ärztlichen Vorträgen mit dem Umgang mit psychiatrischen Notfällen, bei denen Selbst- oder Fremdgefährung vorliegt. Grund war, dass die Frage einer zwangsweisen Einweisung von psychiatrischen Patienten gesetzlich nicht geklärt war. Die Polizei weigerte sich daher immer wieder Verbringungen solcher Patienten in geschlossene psychiatrische Abteilungen zu begleiten oder bei Nachforderungen durch das rettungsdienstliche Personal zu solchen Einsätzen überhaupt auszurücken. Sie betrachtete diese Art von Assistenzleistung tendenziell als Freiheitsberaubung. Dies war mitunter sogar dann der Fall, wenn Sanitäter durch psychotische Patienten angegriffen wurden. Im Krankenanstaltengesetz vom 18.12.1956 wurde die Frage nun dahingehend geklärt, dass nur Patienten, bei denen ein psychiatrisches Krankheitsbild sowie Selbst- und Fremdgefährung vorliegt, in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden dürfen sowie dass dazu eine amtsärztliche Bescheinigung (Parere), die höchstens eine Woche alt ist, beigebracht werden muss. Damit war die gesetzliche Lage für solche Fälle vorläufig geklärt. 1958 statuierte zudem die Europäische Erklärung der Menschenrechte in Artikel 5, § 1 Grundrechte von damals so genannten „Geisteskranken“.
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Ernst Pavelka