1881-1907 Frühgeschichte des Innsbrucker Rettungswesens
Das frühe Rettungswesen
Frühe Rettungsgesellschaften, welche die öffentliche Aufgabe, erkrankte und bei Unfällen verletzte Personen medizinisch zu versorgen und ärztlicher Hilfe zuzuführen, übernahmen, findet man in Küstenländern bereits im 18. Jahrhundert. Man hatte dort häufig mit Ertrinkungsnotfällen zu kämpfen, sodass man sich in diesen Ländern auch früh mit Maßnahmen zur Wiederbelebung wie künstlichen (Be-)atmungen zu beschäftigen begann. Auf dem Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie zeigen sich erste behördliche Anordnungen zur Schaffung organisierter Strukturen zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen etwa in derselben Zeit unter Maria Theresia und Joseph II. Trotzdem beginnen sich auf dem europäischen Festland organisierte sanitätsdienstliche Strukturen erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu entwickeln. Sie entstehen häufig innerhalb des älteren Feuerwehrwesens und emanzipieren sich erst nach und nach davon.
Unter den Feuerordnungen der Stadt Innsbruck, die sich seit dem 16. Jahrhundert nachweisen lassen, ist eine eigene Rettungsabteilung erstmals im Feuerlöschstatut von 1817 vorgesehen. Dieses sah eine berufsständische Verteilung der Aufgaben bei Brandgeschehen vor: Je nach Berufsstand wurden Bürger und Handwerker im Brandfall zur Übernahme von Brandbekämpfungsaufgaben verpflichtet. Als dritte von insgesamt sechs Abteilungen rekrutierte sich die Rettungsmannschaft aus der Priesterschaft, dem Handelsstand, den Ärzten und Wundärzten, den beiden Stadtphysici sowie aus einer Abteilung der Polizeimannschaft und der Militär-Feuerreserve zur Bewachung der geretteten Gegenstände.
Auf dem Gebiet des heutigen Österreich stellte der Wiener Ringtheaterbrand in der Nacht vom 8. auf den 9.12.1881, bei dem rund 400 Menschen starben, den Anlass zur Gründung von Rettungsorganisationen dar. Ein Lampenanzünder hatte sieben Minuten vor Beginn der zweiten Vorstellung von Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ aus Unvorsichtigkeit mit einer Gaslaterne auf der Bühne einen Dekorationsvorhang entzündet, der durch die Schnürbodenarbeiter, nachdem sie das Feuer bemerkt hatten, nach oben gezogen worden war, und so sofort auch den Schnürboden in Brand setzte. Da man es verabsäumte, den eisernen Vorhang herunterzulassen, griff das Feuer rasch auf den Zuschauerraum über. Die Feuerwehr musste von Privatpersonen zu Fuß alarmiert werden, da zwar das Ringtheater einen Anschluss des zu diesem Zeitpunkt seit acht Tagen bestanden habenden Wiener Telefonnetzes besaß, nicht aber die Feuerwehr. Diese war aufgrund falscher Annahmen über die Ausmaße des Brandes 25 Minuten nach dessen Ausbruch für die Rettung von Personen schlecht ausgerüstet (keine Sprungtücher, keine Schubleitern) am Ort des Geschehens erschienen, was vor allem die Rettungsmaßnahmen verzögert hatte. Dazu kam, dass die Türen des Theaters nur nach innen aufgingen, sodass die vor dem Feuer flüchtenden und in Panik gegen die Ausgänge drängenden Menschen das Gebäude nicht verlassen, umgekehrt aber die Feuerwehr nicht eindringen konnte, da die im Inneren aufgetürmten Leichen die Eingänge versperrten.
Der Brand hatte deutlich gemacht, dass für die Bewältigung von Großschadensereignissen mit Massenanfällen von Verletzten die vorhandenen Einrichtungen der Feuerwehr nicht ausreichend waren. Deshalb wurde schon einen Tag nach dem verheerenden Theaterbrand die Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft gegründet.
Die Sanitätsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck
Im selben Jahr, 1881, taucht auch innerhalb der 1857 von Franz Thurner aus der Turnerbewegung heraus gegründeten 'Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck' erstmals eine eigene Sanitätsabteilung auf. Es wäre nun naheliegend, anzunehmen, dass auch ihre Schaffung im Zusammenhang mit dem Wiener Ringtheaterbrand stünde. Tatsächlich hatte die Sanitätsabteilung aber schon vor dem Brand bestanden. Bei der Schlussübung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck am 2.10.1881 trat sie unter Korpsarzt Dr. Franz Greil erstmals öffentlich in Aktion:
„Es war ein Brand in der Weyrer'schen Fabrik in der Sillgasse angenommen. Das Brandobjekt war direkt anzugreifen und die nächste weitere Nachbarschaft zu schützen. […] Die Sanitätsabteilung der Feuerwehr erschien bei dieser Uebung unter Leitung des Hrn. Dr. Med. Greil in neuer und vollständiger Organisirung [sic]; sie ist jetzt mit einer Tragbahre, mit Schienen und Verbandzeug für Bein[-] und Armbrüche u. dgl. ausgestattet und zeigte ihre Fertigkeit in dem Anlegen verschiedener Verbände an einem supponierten Verwundeten.“
⇨ Jahresbericht der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck für das Jahr 1881, S. 14-15.
Die Abteilung zählte zu diesem Zeitpunkt vier Mann sowie drei Korpsärzte, wurde von Alois Witting kommandiert und rückte nur im Brandfall gemeinsam mit den übrigen Kompanien der Feuerwehr aus. Bereits ein Jahr später war die Mannschaft auf neun Mann angewachsen. Ein Personalstand, der sich bis 1906 kaum änderte. Die Ausrüstung bestand aus vier Sanitätsarmbinden, einer komplett eingerichteten Apotheke, einer Trage, Schienen und einem Verbandstornister.
Die Sanitätsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck und das Rote Kreuz
1892 verpflichtete sich die Freiwillige Feuerwehr Innsbruck gegenüber der 1880 gegründeten Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, im Kriegsfalle Militärangehörige zu transportieren und zu versorgen. Die Verpflichtung war einem Abkommen zwischen der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz und dem Österreichischen Feuerwehrausschuss vom 6. Juli 1892 erwachsen. Dieses sah vor, dass die Freiwilligen Feuerwehren im Mobilisierungsfalle als sogenannte „Lokalkrankentransportkolonnen vom Roten Kreuz“ den Transport von Verwundeten übernehmen sollten. Im Gegenzug erhielten diese das Recht, das Rotkreuz-Zeichen zu führen. Die Ausbildung der dafür vorgesehenen Sanitätsabteilungen sollte nach den Richtlinien des Roten Kreuzes für den Verwundetentransport erfolgen. Konkret schlagend wurde dieses Abkommen, das mit der Gründung der Rettungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck im Jahre 1907 erneuert wurde, in den beiden Weltkriegen.
Die Reorganisation der Sanitätsabteilung im Jahre 1897
1880 war mit Viktor Baron Graff ein Mann zum Branddirektor der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck gewählt worden, durch dessen erneuernde Initiativen erst die Bedingungen geschaffen wurden, dass sich aus der Sanitätsabteilung bis 1907 eine Rettungsabteilung entwickeln konnte, die dann auch den allgemeinen öffentlichen Rettungsdienst zu stellen vermochte.
Der 1853 geborene Viktor Baron Graff war Vereinsturnlehrer im Innsbrucker Turnverein und Abgeordneter zum Gemeinderat. 1897 unterzog er die Mannschaft der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck einer vollständigen Neueinteilung. Diese ersetzte die vorhandenen vier Züge mit Steiger- und Spritzenmannschaften durch vier von jeweils einem Hauptmann und seinem Stellvertreter kommandierten Kompanien, die aus zwei vollständigen Löschzügen, wieder jeweils von Zugs- und Rottenführern kommandiert, bestanden. Offenbar im Zuge dieser Reform wurde auch eine Reorganisation der Sanitätsabteilung unternommen. Sie wurde schon mit dem erklärten Ziel in Angriff genommen, in Innsbruck später einmal nach dem Vorbild der Sanitätskolonnen von Feuerwehren in Deutschland einen allgemeinen öffentlichen Rettungsdienst stellen zu können.
Erste Versuche zur Einrichtung eines allgemeinen öffentlichen Rettungsdienstes hatte es bereits einige Jahre davor von anderer Seite gegeben:
Im Juli 1893 hatte die Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft im Zuge der ersten Tiroler Landesausstellung ihre siebente Filiale in Innsbruck errichtet. Die Ausstattung bestand aus einem vollständig eingerichteten Operationssaal, zwei Tragen, Sanitätstaschen, Medikamenten, einem Brieftaubenschlag sowie zwei Sanitätspferdewägen, einer ausschließlich für Infektionstransporte. Sie entsprach einem Wert von etwa 5000 Gulden. Im Oktober 1893 war die Rettungsstation von Vizebürgermeister Wilhelm Greil ins Eigentum der Stadt Innsbruck übernommen worden. Ein ärzlicher Leiter und ein Ehren-Chefchirurg waren bald gefunden und die Aufnahme des öffentlichen Sanitätsdienstes wurde verkündet. Dennoch hatte dieser erste Versuch, einen allgemeinen öffentlichen Rettungsdienst einzurichten, keinen Bestand: Es fehlte an geschultem Personal und an Pferden für die Wagen, sodass die Bespannung jedes Mal fallweise beschafft werden musste. Das Unternehmen schlief wieder ein.
Jetzt, vier Jahre später, fand Viktor Baron Graff in dem seit 1895 in der Sanitätsabteilung tätigen, 1897 zum Kommandanten aufgestiegenen, als hochintelligent und energisch beschriebenen Kaufmannssohn Gustav Riegl den richtigen Mann, um die Sanitätsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr zu reformieren. Vielleicht durch das Scheitern der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft, sicherlich aber durch eigene Erfahrungen mit unzureichend geschultem Personal, begriff man die große Bedeutung, die gut ausgebildete Mitglieder für die Fähigkeit, einen öffentlichen Rettungsdienst zu stellen, haben mussten. Jedenfalls fanden Viktor Baron Graff und Gustav Riegl in dem von diesem zur Sanität geholten Stadtarzt Dr. Otto Kölner einen kongenialen Partner zur Verwirklichung ihres Plans.
Die Reform, die Gustav Riegl, sein Stellvertreter Amadeus Simath und Viktor Baron Graff der Sanitätsabteilung angedeihen lassen wollten, sollte zwei grundsätzliche Missstände beheben: Zum einen bestand die Mannschaft, aus der sie sich zusammensetzte, hauptsächlich aus alten, ausgedienten Feuerwehrmännern; zum andern waren diese durch schlechte Ausbildung und zu wenig Gelegenheit zur Hilfeleistung denkbar ungeübt.
Die Personalreform
Um das Personal zu verjüngen, traten 1897 auf Anregung Viktor Baron Graffs mit dem Gipsformator Leo Stainer, dem Fleischwarenerzeuger Hans Hörtnagl und dem Konditor Hans Munding wichtige spätere Gründungsmitglieder der Innsbrucker Rettung in die Sanitätsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck ein. Alle drei waren ursprünglich am 1.7.1892 vom Innsbrucker Turnverein zur Steigermannschaft des I. Zuges der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck gekommen. Schon damals war ihr Mentor für den Eintritt Viktor Baron Graff gewesen, den sie als Vereinsturnlehrer im Turnverein erlebt hatten. Damit stellte der Innsbrucker Turnverein die gesamte Steigermannschaft des I. Feuerwehrzuges. Nachdem Munding, Hörtnagl und Stainer geheiratet hatten, durften sie die gefährliche Tätigkeit des Steigers nicht mehr ausüben und wechselten zur Sanitätsabteilung. Durch die Neueintritte in die Sanitätsabteilung verschob sich einerseits das Verhältnis zwischen altgedienten Samaritern, wie die Sanitäter damals genannt wurden, und jungen Mitgliedern zugunsten der Jungen; andererseits verließen ab etwa 1899/1900 die alten Herren nach und nach die Sanitätskolonne und machten somit einer jugendlicheren Truppe Platz.
Die Ausbildungsreform unter Dr. Otto Kölner
Anhand einer Episode aus der Anfangszeit der Sanitätsabteilung schildert der spätere erste Obmann und Gründervater der Freiwilligen Rettung Innsbruck, Leo Stainer, den schlechten Ausbildungsstand der Sanitätsmannschaft:
„Wieder einmal, anläßlich einer Übung, passierte es dem Kameraden Hellenstainer, daß er beim Abstieg von der Leiter die letzte Sprosse verfehlte und mit dem Schienbein an der Sprosse scharf herunterstreifte; dabei riß er sich die Deckhaut spannenlang auf und blutete stark. Der von Baron Graff herbeigerufene Sanitätsmann Peer, ein alter Mann, der nebenbei auch Vereinsdiener war, öffnete dienstbereit seine Verbandtasche und begoß einen Wattebausch mit Karbol, dem damals allein üblichen Desinfektionsmittel. Als er den Bausch auf die lange Wunde legte, rief Ernst Hellenstainer gleich:
'Du, Peer, dös brennt aber höllisch.'
'Dös ischt schon recht', meinte Peer, 'dös muaß so sein, dafür heilt's a guat und bald.'
Ernst Hellenstainer bekam immer stärkere Schmerzen und der nachts herbeigerufene Arzt stellte mit Entsetzen fest, daß der Wattebausch mit konzentrierter Karbolsäure getränkt war. Der gute Peer hatte nicht gewußt, daß er nur 6 Prozent Karbol und gut 90 Prozent Wasser hätte nehmen dürfen! Hellenstainer litt noch wochenlang an dieser schweren Verbrennung.“
(Leo Stainer, Wie ich Samariter wurde. Erinnerungen und Erlebnisse, in: FREIWILLIGE RETTUNGSGESELLSCHAFT INNSBRUCK (Hg.), 25 Jahre Freiwillige Rettungs-Gesellschaft Innsbruck, 20 Jahre Tiroler Samariterbund. Innsbruck 1932, 22-24, hier: 23)
Es wurde bereits erwähnt, dass Dr. Otto Kölner auf Betreiben von Gustav Riegl am 1.1.1897 als Korpsarzt in die Freiwillige Feuerwehr Innsbruck eingetreten war. Schon vor dem Eintritt Dr. Kölners dürften die beiden Korpsärzte Dr. Josef Thalguter und Dr. Franz Winkler erste, aber nur einzelne Schulungsabende durchgeführt haben. Riegl und Baron Graff war dies zu wenig, da sie durch regelmäßige Ausbildungsstunden in Erster Hilfe Personal heranbilden wollten, das dann auch geeignet sein sollte, die Mannschaften für einen öffentlichen Rettungsdienst zu stellen.
Unter Dr. Otto Kölner wird bei der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck nun erstmals ein regelmäßiger Schulungsbetrieb für die Sanität eingeführt. Es mussten neunzehn theoretische und sechzehn praktische Übungen bewältigt werden. Das Curriculum trug den Titel „[E]rste Hilfe der Sanitätsmannschaft bei Unglücksfällen“. Es begann im Herbst und endete im Frühjahr des Folgejahres. Am 26.4.1898 wurde die Sanitätsmannschaft sowie einige Feuerwehrmänner unter den Augen der Kommandantschaft von Dr. Kölner im Gasthof Weißes Kreuz erstmals geprüft. Spätere Prüfungen fanden gerne im Beisein auch von Mitgliedern des Gemeinderates und anderer Gäste von außerhalb des Feuerwehrkorps statt.
Der neu eingerichtete Schulungsbetrieb dürfte langgehegte Wünsche bedient haben, denn er erfreute sich schon rasch einer allgemein großen Beliebtheit. Für den Beginn des „IV. Sanität-Instructionscurs“ im Jahre 1901, bei dem die Anzahl der ursprünglichen Unterrichtseinheiten gegenüber 1897 gleich geblieben ist, sind 19 Teilnehmer belegt, am Ende des Kurses waren es allerdings nur mehr 11. Dabei nahmen nicht nur die Mitglieder des Innsbrucker Sanitätskorps teil, sondern auch Wehrmänner der Feuerwehren umliegender Ortschaften und Polizeiwachmänner der Städtischen Sicherheitswache. Jene Mitglieder der Feuerwehr, die zwar nicht der Sanitätsabteilung angehörten, den Sanitäterkurs aber mit Prüfung abgelegt hatten, durften ebenso wie die Mitglieder der Sanität die Armbinde mit dem Roten Kreuz tragen.
Bei den Schulungen wurde darauf geachtet, nicht nur das zur sanitätsdienstlichen Absicherung von Feuerwehreinsätzen notwendige Wissen zu vermitteln, sondern die Teilnehmer zu allgemeiner Erster Hilfe auch außerhalb des Feuerwehrwesens zu befähigen. Dies war besonders mit Hinblick auf das Ziel eines allgemeinen öffentlichen Rettungsdienstes notwendig.