Leo Stainer
„Nichts für uns, alles für andere!“
Leo Stainer (19.01.1870 – 01.04.1964), genannt „Vater Stainer“, gehört neben Dr. Otto Kölner, Gustav Riegl und Viktor Baron Graff zu den wichtigsten Gründervätern der Freiwilligen Rettung Innsbruck und damit des öffentlichen Rettungsdienstes in Innsbruck wie in ganz Tirol.
Leo Stainer wurde als zweites von insgesamt vier Kindern der Kunstmalerin Anna Maria Stainer-Knittel (1841-1915) und des gelernten Schusters, späteren Gipsformers Engelbert Stainer (1841-1903) in Innsbruck geboren. Die aus Elbigenalp stammende Mutter räumte als 17-jährige in der Saxerwand am Seil hängend einen Adlerhorst aus. Die Episode inspirierte Hermine von Hillern zu ihrem Roman „Geier-Wally“ (1875). Die Autorin hatte auf der Durchreise, wahrscheinlich im Jahre 1870, im Schaufenster des Geschäftes des Ehepaars Stainer in der damaligen Rudolfstraße (seit 1923 Brixnerstraße) ein Gemälde von Anna Stainer-Knittel, das die Ausräumung des Adlerhorstes zeigt, gesehen und bei dieser Gelegenheit auch die Protagonistin der Episode selbst kennengelernt. Der Roman von Hillerns weicht inhaltlich freilich erheblich vom realen Leben Anna Stainer-Knittels ab.
Anna Stainer-Knittel war die Tochter eines Büchsenmachers. Ihr Onkel war Bildhauer, der Maler Joseph Anton Koch ihr Großonkel. Schon in der Schule soll sie ihre Mitschüler karikiert und so ihr Talent zur Malerei gezeigt haben. Ihre Begabung wurde zunächst von Johann Anton Falger erkannt und – auch finanziell – gefördert. 1859 ging sie zum Kunststudium nach München, wo sie extern von einem Professor der Kunstakademie unterrichtet wurde, weil Frauen an dieser nicht studieren durften. Nachdem das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum der mittlerweile wieder in Elbigenalp lebenden Anna Knittel ein Selbstportrait abgekauft hatte, zog diese nach Innsbruck. Dort lernte sie 1866 den aus Pfunds stammenden Engelbert Stainer kennen, den sie nach anfänglichem Widerstand der Eltern 1867 heiratete. Gemeinsam betrieb das Ehepaar an wechselnden Standorten in Innsbruck ein Geschäft.
Annas und Engelberts zweiter Sohn Leo besuchte zunächst die Unterrealschule. Auf den elfjährigen Knaben hatten nach eigenen Angaben Berichte vom Wiener Ringtheaterbrand, bei dem fast 400 Menschen starben und der den Anlass zur Gründung der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft bildete, prägenden Einfluss:
„Schon in jungen Jahren […] prägte sich in mein Gedächtnis ein furchtbares Geschehnis ein. Eine meiner Obliegenheiten war es damals, für die Eltern von der Druckerei die mittags erscheinende Zeitung zu holen, in welche ich natürlich immer meine neugierige Nase stecken mußte.
'Das Wiener Ringtheater ist abgebrannt!' platzte ich, kaum zu Hause angelangt, heraus. Ich sehe noch heute die entsetzten Gesichter meiner Eltern. Es folgten Tage der Trauer für sie und daher auch für uns alle. Die schrecklichen Einzelheiten wurden vor uns besprochen und beklagt.
Wie dann unter dem Eindrucke dieser furchtbaren Katastrophe bald darauf, am 9. Dezember 1881, in Wien die Freiwillige Rettungsgesellschaft gegründet wurde, wie jetzt so schön vorgesorgt sei bei Unglücksfällen aller Art, all das erzählte uns später unser liebes Mutterl in eindrucksvoller Art.“
Stainer, Leo: Wie ich Samariter wurde, Erinnerungen und Erlebnisse. In: 25 Jahre Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck. 20 Jahre Tiroler Samariterbund. Innsbruck: Selbstverlag, 1932, 22-24, hier: 22.
Ab 1883 erlernte Leo das Handwerk des Gips- und Kunstformators an der Kunstgewerbeschule. Nach Ausbildungsaufenthalten in München, Nürnberg, Köln und Berlin in den Jahren 1886-1888 sowie 1889 in Paris trat er 1890 eher widerwillig ins elterliche Geschäft ein. 1893 übernahm er den bereits in der Maria-Theresien-Straße 38 im Palais Trapp gelegenen Betrieb. Auf die Initiative der sehr auf die Bildung der Kinder achtende Mutter ist es wohl zurückzuführen, dass Leo Stainer neben seiner Muttersprache auch Englisch, Italienisch und Französisch beherrschte. Seine Lehrmädchen bildete er daher nicht nur zu Verkäuferinnen aus, sondern brachte ihnen auch vor allem – Englisch lernten sie in der Schule – Italienisch und Französisch selbst bei, damit sie sich mit den Touristen unterhalten konnten. Kenntnisse, die sie nach Ende ihrer Ausbildung bei anderen Geschäftsinhabern beliebt machte.
Seit 1892 war Leo Stainer in der Steigerabteilung des I. Zuges der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck engagiert gewesen. Der Eintritt erfolgte vom Innsbrucker Turnverein her kommend gemeinsam mit dem Konditor Hans Munding und dem Metzger Hans Hörtnagl auf Betreiben des Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck, Viktor Baron Graff, der auch k. k. Vereinsturnlehrer gewesen war. Die sog. „Steiger“ hatten die Aufgabe, Personen und Mobiliar aus den brennenden Häusern zu retten und die Schlauchverbindungen herzustellen. Die Tätigkeit war gefährlich, weswegen sie nur von jungen, kräftigen und unverheirateten Männern durchgeführt werden durfte. Aus diesem Grunde wurden die Steiger ausschließlich aus den Turnern rekrutiert.
Nach der Heirat mit Maria Gumpold im Jahre 1894 und der Geburt des Sohnes Hermann Johann im November 1895 – 1898 wird auch noch die Tochter Hildegard geboren – , durfte Leo die gefährliche Tätigkeit des Steigers nicht mehr ausüben. Ein Schicksal, das auch Hans Munding und Hans Hörtnagl ereilen sollte. 1897 wechselten die drei daher zur 1881 gegründeten Sanitätsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck. Es geschah dies im Zuge einer Reform, die Branddirektor Viktor Baron Graff der Sanitätsabteilung mit dem Ziel, dass diese dereinst den öffentlichen Rettungsdienst in Innsbruck stellen können sollte, angedeihen ließ. Hans Munding, Hans Hörtnagl und Leo Stainer werden bei Schaffung der Rettungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck am 12.04.1907 deren dienstälteste Gündungsmitglieder sein.
Über seine persönliche Motivation, der Sanitätsabteilung beizutreten, schreibt Leo Stainer 1932:
„Schon von meiner Lehrzeit als 'Kunstformer' an hatte ich in zahlreichen Fällen Gelegenheit, menschliches Elend zu sehen, Unfall- und Leidensgeschichten der Patienten mitanzuhören. In der Chirurgischen Klinik mussten wir Abgüsse nach der Natur von allen möglichen Körperteilen der Patienten anfertigen, vor und nach gelungener Operation. Diese Nachbildungen wurden damals von den Professoren als Lehrmittel sehr geschätzt.“
Stainer, Leo: Wie ich Samariter wurde, Erinnerungen und Erlebnisse. In: 25 Jahre Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck. 20 Jahre Tiroler Samariterbund. Innsbruck: Selbstverlag, 1932, 22-24, hier: 22.
1904 wird Leo Stainer in Nachfolge des Magistratsbeamten Amadeus Simath, dessen Stellvertreter er bis dahin gewesen war, Abteilungsführer der Sanitätsäbteilung. Als solcher treibt er das Projekt, aus der Sanitätsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck eine Rettungsabteilung zu machen, voran. Als diese mit einem von Dr. Otto Kölner, der auch die Mannschaft zehn Jahre lang ausgebildet hatte, entworfenen Statut und auf Dringlichkeitsantrag von Branddirektor Viktor Baron Graff im Innsbrucker Gemeinderat am 12. April 1907 endlich gegründet wird, wird Leo Stainer zu ihrem ersten Obmann (1907-1938, 1951-1952) gewählt. Unter seine Obmannschaft fallen die Bewältigung des Verwundetenabschubes während des ersten Weltkrieges in den Jahren 1914-1917, die Hausbauten in der Wilhelm-Greil-Straße 23 (1926/27) und 25 (1933) mit der Inbetriebnahme der Kammerlichtspiele (1928) sowie die Ausscheidung der Rettungsabteilung aus der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck mit der Neukonstitution als Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck am 03.09.1925. Seine Funktionsperiode endete mit der Übernahme der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck durch das Deutsche Rote Kreuz im August 1938 infolge des Anschlusses. 1951 sprang Leo noch einmal für ein Jahr als Obmann ein, nachdem der seit 1947 amtierende Obmann Josef Dinkhauser verstarb.
Auch persönliche Schicksalschläge blieben Leo Stainer nicht erspart: 1915 verstarb nicht nur die heißgeliebte Mutter, sondern es fiel auch sein einziger Sohn Hermann an den Folgen eines Steckschusses am Hinterkopf bei Bielitz (Schlesien). Leo fuhr selbst nach Bielitz, um die Leiche zu überführen und den Sohn in Innsbruck zu begraben. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sein Geschäft zeitweise als nicht kriegswichtig geschlossen, Leo wurde als über 70-jähriger noch zum Luftschutz einberufen. Als 1944 auch sein Schwiegersohn und Teilhaber, Oberleutnant Siegfried Hartung, in Polen fiel, musste der 75-jährige wieder selbst im Geschäft arbeiten. 1947 verstirbt die Schwester Emma (* 1875), – die 1871 geborene Schwester Rosa war bereits 1893 verstorben –, 1949 der Bruder Dr. Karl Stainer (* 1868), der von 1894 bis 1948 Gemeindearzt in Wattens gewesen war.
Leo Stainer selbst war bis ins hohe Alter hinein aktiv: Noch als 90-jähriger besuchte er regelmäßig das Dampfbad in der Salurnerstraße und stieg jeden Sonntag zur Mundinghütte, einer der Rettungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck vom Konditor Hans Munding finanzierte Berghütte oberhalb des Gramartbodens auf, um dort das Mittagessen einzunehmen, Karten zu spielen und die Kameradinnen mit Zuckerln, die Kameraden mit Zigaretten aus seinem Geschäft zu beschenken. Er starb als Ehrenmitglied der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck (1917), Ehrenobmann (1928) derselben, Ehrenbürger der Landeshauptstadt Innsbruck (1932), Träger des Goldenen Verdienstzeichens der Republik Österreich (1932) sowie als letztes Kind der „Geierwally“ am 01.04.1964.
Von Leo Stainer ist das Mahnwort „Nichts für uns, alles für andere!“ überliefert.
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Ernst Pavelka. – 2016, 2020.